Windige Geschäfte mit Ökostrom

Windige Geschäfte mit Ökostrom

Copyright: Jakob Schlandt, Hamburger Abendblatt

Berlin. Die Windkraft in Deutschland boomte zuletzt: Rund zehn Milliarden Euro flossen pro Jahr in den Bau neuer Anlagen. Knapp 30.000 wurden seit Anfang des Jahrtausends gebaut, sie produzieren etwas weniger als ein Achtel des in Deutschland erzeugten Stroms. Eine riesige Industrie ist entstanden, die sich derzeit in Husum zur Branchenmesse trifft.

Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, zeigen, dass es beim Windkraftwunder seit vielen Jahren die Möglichkeit gibt, zu betrügen – und die Bundesregierung gegen die Manipulationspotenziale nicht entschlossen vorgegangen ist.

Die Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) weist ein riesiges Schlupfloch auf. Denn die Förderhöhe hängt davon ab, ob am Standort des Windrads im Schnitt viel oder wenig Wind bläst. Ist der Standort eher schlecht, wird den Windmüllern viele Jahre lang – bis zur vollen Förderdauer von 20 Jahren – mehr EEG-Umlage pro Kilowattstunde gezahlt. „Referenzertragsmodell“ heißt das System in der Fachsprache. Die Rechnung bezahlen die Stromverbraucher über die sogenannte EEG-Umlage, die auf die Stromrechnung aufgeschlagen wird.

Die endgültige Einordnung, wie „gut“ der Standort ist, hängt vom Ertrag nach fünf Jahren ab. Windräder an sehr guten Standorten haben also einen Anreiz, zunächst weniger Strom zu produzieren als möglich, um später höhere Förderbeträge zu bekommen. Schon 2014 hieß es in einer Untersuchung des Berliner Thinktanks Agora Energiewende: „Die eigentliche Manipulation erfolgt in den betrachteten Fällen in den ersten fünf Betriebsjahren. Nachdem die Dauer der erhöhten Anfangsvergütung festgelegt beziehungsweise das Gutachten bestätigt wurde, würde das Potenzial des Standortes und der Anlage voll ausgenutzt werden können.“ Die Agora-Autoren betonten in der Untersuchung zwar, dass es sich lediglich um „mögliche“ Manipulation handelt. Doch sie stellten auch fest: Der finanzielle Anreiz ist enorm. Ein Windrad an einem sogenannten 130-Prozent-Standort, also mit hervorragenden Windverhältnissen, wie sie zum Beispiel an den Küsten herrschen, würde über die Förderlaufzeit 600.000 Euro mehr Einnahmen erzielen, wenn es in den ersten fünf Jahren so gedrosselt wird, dass es nur als 100-Prozent-Windrad einsortiert wird. Denn diese erhalten deutlich länger eine höhere Vergütung.

Die Bundesregierung war seit vielen Jahren über diesen Missstand informiert. Interne Unterlagen zeigen, dass das Bundeswirtschaftsministerium bereits im November 2013 über die brisanten Untersuchungen zum Manipulationspotenzial schriftlich informiert wurde. Anfang 2014 lagen dem Ministerium zudem die detaillierten Ergebnisse der Manipulationsuntersuchung des Fachhauses Deutsche WindGuard vor. Die Untersuchungen kommentiere man nicht, teilt das Wirtschaftsministerium von Brigitte Zypries (SPD) dazu lediglich mit. „Wir können auch nicht bestätigen, dass es solche in der Studie beschriebenen Manipulationen tatsächlich gegeben hat.“ Dabei war das Ministerium sogar im Begleitkreis an der Studie beteiligt, die vor dem möglichen Missbrauch warnte.

Offen bleibt auch die Frage, warum die Bundesregierung trotz des Wissens um die Missbrauchspotenziale nicht aktiv wurde, um das Schlupfloch zu schließen. Auch heute noch können Windmühlen nach den manipulationsanfälligen Regeln in Betrieb gehen. Bis Ende 2018 dürfen noch Anlagen nach dem alten EEG gebaut werden, die Anfang 2017 bereits genehmigt waren. Erst im neuen Referenzertragsmodell ist der Manipulationsanreiz deutlich reduziert worden. Wie viele Windmüller sind tatsächlich durch das Betrugsschlupfloch marschiert? Die Branche beschwichtigt bei dieser Frage: Ein Sprecher des Bundesverbands Windenergie (BWE) sagte, der Missbrauch sei ein „theoretisches“ Problem ohne praktische Relevanz. Kein einziger Manipulationsfall sei dem Verband bekannt. Denn Windmüller, die manipulierten, würden sich nicht nur „des Betrugs schuldig machen“. Ihnen würde auch das Ende der EEG-Zahlungen und durch die technische Manipulation des Betriebs der Garantieentzug durch den Hersteller drohen. Das sei eine ausreichende Abschreckung.

Tatsächlich gibt es aber Indizien für Manipulationen: Auffällig viele Windräder fallen in für Betreiber besonders günstige Gütekategorien. So gibt es insgesamt extrem wenige Windräder, die überhaupt als gute Standorte ausgewiesen sind. Lediglich 0,8 Prozent aller Anlagen sind mit 130 Prozent oder mehr eingeordnet. Hinzu kommt: 100-Prozent-Anlagen gibt es mit 5,4 Prozent außergewöhnlich viele im Vergleich zu 95- oder 105-Prozent-Windrädern. Diese Zahlen zeigen: Nicht wenige Windmüller müssen bei der Einordnung ihrer Anlage aktiv mitgeholfen haben.

Hinzu kommt, dass die Betreiber von den Behörden nur schlampig überprüft werden: Eigentlich müsste auch von außen leicht nachvollziehbar sein, ob viele Windräder auffällige Produktionsmuster aufweisen. Schließlich verpflichtet das EEG die Betreiber der Stromnetze, auch die Produktionsdaten einzelner Windräder zu veröffentlichen. Doch die Datenbanken der Netzbetreiber sind derart lückenhaft geführt, dass es äußerst schwierig ist, Ertragsprofile für einzelne Windräder zu erstellen.

Bei einigen Anlagen lassen sich tatsächlich auffällige Muster feststellen: zunächst wenig, dann nach fünf Jahren plötzlich deutlich mehr Stromertrag. Für eine systematische Analyse einer großen Anzahl von Windrädern ist die Qualität der Datenbanken zu schlecht. Die mangelnde Transparenz kommt den Betreibern zugute – und auch der Bundesregierung, die sich seit Jahren für das Wegschauen entschieden hat. Zum Nachteil aller Bürger: Denn den möglichen Schaden zahlt die Allgemeinheit über den St